„Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“ (Max Frisch, 1965)
Stellungnahme zum Entwurf eines Duldungsgesetzes:
Am 11.12.2018 bekundeten in der UN-Vollversammlung in Marrakesch Deutschland und 163 weitere Mitgliedsstaaten ihre tiefe Solidarität mit Menschen, die zur Flucht gezwungen sind, bestätigten ihre Verpflichtung, die Menschenrechte von Migrant*innen und Menschen auf der Flucht im vollen Umfang zu respektieren und Länder, die von großen Flucht- und Migrationsbewegungen betroffen sind, zu unterstützen. Fast zeitgleich wurden am 19.12.2018 die Regelungen zur Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung gemeinsam mit dem Entwurf des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes vom Bundeskabinett beschlossen. In der Öffentlichkeit wurde der Gesetzesentwurf als große und notwendige Verbesserung gefeiert. Verbesserung für wen? Außen vor gelassen wurden diejenigen Menschen aus den sogenannten „sicheren Herkunftsländern“, ohne Identitätsklärung oder mit Abschiebeverbot.
Im Folgenden werden wir uns denjenigen Regelungen zur Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung widmen, die in der Öffentlichkeit kaum erwähnt wurden und die im eklatanten Widerspruch zu den Menschenrechten stehen:
Neuregelung der Ausbildungsduldung (§ 60b AufenthG)
Erneut wird darauf verzichtet, mit einer Aufenthaltserlaubnis tatsächliche Rechtssicherheit zu schaffen. Das begünstigt Abhängigkeit und Ausbeutung in bestehenden Ausbildungsverhältnissen. Ebenfalls ist die Differenzierung von Personen mit Aufenthaltsgestattung und mit Duldung bei der Erteilung einer Ausbildungsduldung scharf zu kritisieren, da hiermit das innenpolitische Interesse an Abschiebungen ganz klar vor die Menschenrechte gestellt wird.
Die Erteilung der Ausbildungsduldung kann bei offensichtlichem Missbrauch verweigert werden. Mit dieser Vorschrift werden Ausländerbehörden neue Auslegungs- und Ermessensspielräume eröffnet. Weitere Ausschlussgründe entstehen durch die Identitätsklärung als zwingende Voraussetzung, wodurch schärfere Bedingungen als für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis herrschen. Zudem wird mit der Einführung von Fristen zukünftig auch im laufenden Asylverfahren eine Einleitung der Identitätserklärung erwartet. Diese Regelung verstößt gegen die Genfer Flüchtlingskonvention (Art. 25. 1. und gegen das Unionsrecht (Art. 78 AEUV und Art. 18 Charta der Grundrechte der EU), da die Klärung ohne eine Kontaktaufnahme zu Behörden des Verfolgerstaates kaum möglich ist und dies mit erheblicher Gefahr für die Betroffenen und ihre Familien einhergeht.
Personen, bei denen „konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung“ bevorstehen, wird eine Ausbildungsduldung weiterhin versagt. Diese Maßnahmen werden im Gesetzesentwurf konkretisiert und umfassen z.B. die Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit. Eine ärztliche Untersuchung ist keine Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung! Sie darf kein Aspekt zur Versagung der Ausbildungsduldung sein und steht im Widerspruch zur Berufsethik von Ärzt*innen. Obendrein eröffnet der Hinweis auf „vergleichbar konkrete Vorbereitungsmaßnahmen“ Ausländerbehörden weitere Auslegungsspielräume.
Einführung einer Beschäftigungsduldung (§ 60c AufenthG)
Mit der Einführung einer Beschäftigungsduldung gelingt es nicht, tatsächliche Rechtssicherheit herzustellen. Mit den vorgeschlagenen Voraussetzungen für die Erteilung einer Beschäftigungsduldung (12-monatiger Duldungsbesitz, 18-monatiges Arbeitsverhältnis in Vollzeit, vollständige Lebensunterhaltssicherung, Identitätsklärung, Deutschsprachniveau A2) werden sehr hohe Hürden gesetzt, die eine Erteilung verhindern. Dringend notwendige Reformen bisheriger Bleiberechtsregelungen bleiben damit aus.
Die Beschäftigungsduldung mündet erst nach 30 Monaten in eine Aufenthaltserlaubnis und produziert einen Zustand größter Abhängigkeit von Arbeitgeber*innen. Sie begünstigt somit prekäre Arbeitsbedingungen. Wenn jemand eine Beschäftigungsduldung anstrebt, müssen außerdem beide Ehepartner*innen ihre Identität geklärt haben und es dürfen bei beiden keine Straftaten vorliegen. Das ist „Sippenhaft“ und somit verfassungswidrig! Diese Vorschrift ist nicht mit dem grundgesetzlichen Schutz von Ehe und Familie zu vereinbaren.
Hierarchisierung von Menschen nicht menschenrechtskonform
In Marrakesch präsentiert sich Deutschland zwar gerade als Vorreiter, doch in Wirklichkeit orientiert sich die Bundesregierung konsequent an der populistischen Konkurrenz und setzt weiter auf Abschottung. Der Gesetzesentwurf schürt – ebenso wie der zweite Referentenentwurf zum „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ des Bundesinnenministeriums – die Hierarchisierung von Geflüchteten.
Die „Guten“ können ihre Identität nachweisen und sind aus den Ländern mit vermeintlich guter Bleibeperspektive. Ihnen wird erlaubt, ihr Wissen, ihre Leistungs- und Innovationsfähigkeit, ihre Flexibilität zur Verfügung zu stellen und somit einen Beitrag zum Wohlstand zu leisten. Die „Schlechten“ hingegen haben keinen Identitätsnachweis oder sie sind aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten. Sie leben hier geduldet und unterliegen meist einem Arbeitsverbot. Es kommt zu einem strukturellen Ausschluss, einer Entrechtung und einer Kriminalisierung dieser Menschen.
Die hier umrissenen Regelungen sind keine Verbesserungen, die gefeiert werden können. Vielmehr enthalten sie erhebliche Verschlechterungen, die gegen zahlreiche Menschenrechte verstoßen. Unter anderem gegen das Verbot der Diskriminierung (Art. 2 AEDM), die Unschuldsvermutung (Art. 11 AEDM) das Recht auf Arbeit, freie Berufswahl, gerechte Arbeitsbedingungen, Schutz vor Arbeitslosigkeit (Art. 23 AEDM), das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit (Art. 3 AEDM), den Schutz vor Verhaftung und Ausweisung (Art. 9 AEDM), den Schutz der Freiheitsphäre des Einzelnen (Art. 12 AEDM), die Freizügigkeit und Auswanderungsfreiheit (Art. 13 AEDM), das Recht in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen (Art. 14 AEDM), das Recht auf soziale Sicherheit und Menschenwürde (Art. 22 AEDM), das Recht auf Wohlfahrt (Art. 25 AEDM) und das Recht auf Bildung (Art. 26 AEDM).
Migrationen sind Prozesse, die aus dem Willen und dem Handeln von Menschen mit weit vielfältigeren Ursachen, Identitäten und Lebensentwürfen hinsichtlich der Bildung, des sozioökomischen Status, des Alters, der Sprache, der Religion, des Milieus, der Kultur, des Geschlechts und der Sexualität entsteht als es die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Zwecke fassen können.
Stattdessen fordern der Migrationsrat Berlin e.V. und unterzeichnende Organisationen
- Die Konsequente Achtung der Menschenrechte;
- ein Bleiberecht für alle;
- die Abschaffung von Arbeitsverboten;
Der Migrationsrat Berlin e.V. ist ein Dachverband von etwa 70 Migrant*innenselbstorganisationen, Mitglied in der Härtefallkommission Berlin, Mitglied in der Expert*innenkommission für Verfahrens-hinweise der Ausländerbehörde Berlin und Mitglied in bridge – Berliner Netzwerke für Bleiberecht.
Kontakt für Rückfragen:
Cemile Karaman
Tel.: 030 – 69 53 60 30
cemile.karaman@migrationsrat.de