Psychisches Leid von Flüchtlingen

Flüchtlinge aus Krisengebieten kommen oft stark traumatisiert in Deutschland an. Hier setzt ihnen dann das prekäre Leben in den Unterkünften zu. Psychische Erkrankungen sind häufig – Therapieplätze gibt es nur wenige.

Khalid* hat mit angesehen, wie seine Schwester vergewaltigt und Verwandte ermordet wurden. Das war vergangenes Jahr in Syrien, als er und seine Familie mitten in Gefechte zwischen Rebellen und Armee gerieten. Der Mann, Ende 30, flieht aus dem Kriegsgebiet und verlässt seine Heimat. Allein, denn nur für ihn reicht das Geld der Familie. Was Khalid von der Reise in einem der unsicheren Schlepperboote noch im Gedächtnis ist: die Panik, nicht zu überleben.

Seit Anfang dieses Jahres lebt der Syrer in Berlin. Das Gefühl von Todesangst und all die schlimmen Szenen trägt er weiter mit sich herum. Er hört seine Schwester schreien, Gewehre rattern. Als wäre er wieder mittendrin, ziehen die Bilder an seinem inneren Auge vorbei – Tag und Nacht.

Khalid leidet unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) – wie viele, die aus Krisengebieten geflohen sind. Experten schätzen, dass die Zahl der psychisch Erkrankten unter Flüchtlingen um ein Mehrfaches höher ist als in der Allgemeinbevölkerung. Sie leiden Erhebungen zufolge bis zu zehnmal häufiger unter Angsterkrankungen, Depressionen oder einer PTBS. Krank machen sie aber nicht nur die brutalen Erlebnisse in der Heimat oder während der Flucht, auch das Leben in dem neuen Land belastet sie mitunter stark.

„Die Flüchtlinge brauchen ein Gefühl von Sicherheit. Viele von ihnen wurden im Heimatland von staatlichen Organisationen gefoltert oder verfolgt“, sagt Johannes Kruse, Direktor der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie an der Universität Marburg. Dann kämen sie in ein Land, das sie nicht kennen, dessen Sprache sie nicht sprechen und von dem sie nicht wissen, ob es ihnen Schutz gewähren wird. „Das verunsichert sehr.“

Auch die neuen Lebensumstände sind eine zusätzliche Belastung. „Die Menschen werden einfach Wohnorten zugeteilt, statt dorthin, wo vielleicht schon Verwandte oder Bekannte untergekommen sind. Sie leben vor allem in Erstaufnahmeeinrichtungen auf engstem Raum mit völlig Fremden zusammen, die womöglich auch traumatisiert sind. Keiner von ihnen hat einen richtigen Rückzugsraum, keine Musik und kein Fernsehen – egal wie gestresst, erschöpft oder auch traurig sie durch all die Erlebnisse der Flucht und davor sind“, kritisiert die Psychiaterin Meryam Schouler-Ocak von der psychiatrischen Universitätsklinik der Charité in Berlin. Dort werden Flüchtlinge mit psychischen Erkrankungen behandelt – auch Khalid.

Studien bestätigen den Eindruck der Therapeutin. US-Forscher zeigten, dass Flüchtlinge, die in institutionellen Einrichtungen lebten oder wegen ihres Aufenthaltsstatus keiner Arbeit nachgehen konnten, mehr psychische Probleme aufwiesen als Migranten mit eigener Wohnung oder einem Job. Isolation und das Gefühl, diskriminiert zu werden, gelten unter Experten ebenfalls als Risikofaktoren für psychische Probleme. Untersuchungen mit somalischen Flüchtlingen etwa legen nahe, dass empfundene und tatsächliche Diskriminierung eng mit Depression und anderen psychischen Symptomen verknüpft ist. „Wenn die Flüchtlinge von brennenden Flüchtlingsheimen hören oder sehen, wie Einheimische gegen sie demonstrieren, schürt das zusätzliche Ängste“, so Kruse.

Wartezeit erhöht den Leidensdruck

Ebenso kann die Asylbürokratie zermürben, wie schon 2004 eine niederländische Untersuchung zeigte: Flüchtlinge, die bereits seit zwei Jahren auf eine endgültige Entscheidung warteten, ging es psychisch deutlich schlechter als jenen, die bislang weniger als ein halbes Jahr ohne klare Bleibeverhältnisse in den Niederlanden lebten. Von diesen gerade erst Angekommenen wiesen 42 Prozent eine Depression, Angststörung oder PTBS auf, in der Gruppe, die schon lange wartete, lag die Rate bei 66 Prozent.

„In unserem Behandlungszentrum haben wir Fälle, in denen Patienten über mehrere Jahre hinweg kein dauerhaftes Bleiberecht erhalten, sondern sich von Duldung zu Duldung hangeln. Unter solchen unsicheren Umständen ist es fast unmöglich, dass die Betroffenen sich integrieren können oder psychisch gesund werden“, sagt die Psychologin Maria Böttche vom Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin. Einem ihrer Patienten wurde das Bleiberecht 15 Jahre lang jeweils nur um ein halbes Jahr verlängert. Ein Dilemma in der Therapie mit traumatisierten Flüchtlingen sei zudem die Tatsache, dass eine Genesung oder eine bedeutsame Besserung auch eine Abschiebung nach sich ziehen könnte – selbst wenn die Situation im Herkunftsland weiterhin ungünstig ist.

Neue Einrichtungen entstehen

Das Leid ist also groß, doch es mangelt an Behandlungsmöglichkeiten, wie Böttche und Schouler-Ocak sie bieten. Mittlerweile entstehen therapeutische Einrichtungen speziell für Flüchtlinge und Folteropfer. Das Personal dort wurde für den Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen geschult. Dolmetscher ermöglichen die Therapiegespräche. Doch Kapazitäten und Geld dafür sind meist begrenzt.

Auch haben die Flüchtlinge meist keinen Zugang zu den Angeboten. Das Asylbewerberleistungsgesetz sieht eine medizinische Versorgung für Asylsuchende nur vor, wenn die Erkrankung akut oder lebendbedrohlich ist. „Psychische Störungen zählen da oft nicht dazu, oftmals werden sie auch gar nicht erkannt. Bleiben die Beschwerden allerdings unbehandelt, können sie sich verschlimmern oder chronisch werden, mit all dem Leid für die Betroffenen“, betont Schouler-Ocak.

Und Psychosomatiker Kruse warnt, dass selbst Therapien schlimme Erfahrungen nicht wegwaschen können. Aber so ermöglicht man den Betroffenen, mit den Erinnerungen halbwegs normal leben zu können.

* Name von der Redaktion geändert

 

Quelle: Spiegel Online