Ein bitterer Tag für Flüchtlinge: Der schmutzige EU-Türkei-Deal ist in trockenen Tüchern. Alle Schutzsuchenden, die aus der Türkei in die Europäische Union gelangen, sollen wieder dorthin zurück geschickt werden. Europa verabschiedet sich von seinen Werten.
Wer aus der Türkei nach Griechenland gelangt, soll – nach einem schnellen pro forma-Verfahren – zurück in die Türkei abgeschoben werden. Im Gegenzug möchten die EU-Staaten für jeden syrischen Abgeschobenen einen syrischen Flüchtling aus der Türkei auf legalen Wegen aufnehmen. Um den bizarren Plan zu verdeutlichen: Nur wenn ein syrischer Schutzsuchender sein Leben bei der Überfahrt über die Ägäis riskiert und dann per Schnellverfahren zurückverfrachtet wird, entsteht ein Platz für einen anderen Schutzsuchenden aus Syrien, der dann legal und gefahrenfrei in die Europäische Union kommen darf.
Insgesamt gilt auch das vorerst aber nur für insgesamt 72.000 Menschen – und das nicht etwa zusätzlich, sondern Medienberichten zufolge als Teil von bereits beschlossenen Aufnahmekontingenten. Und: Wer bereits einmal illegal nach Europa eingereist ist, soll dabei ohnehin schlechte Karten haben.
Doch damit nicht genug: Nicht nur, dass der Deal syrische Schutzsuchende gegen Menschen aus anderen Ländern ausspielt und Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisengebieten wie dem Irak, Afghanistan oder Eritrea Schutz in der Europäischen Union generell verwehrt bleibt, er lässt auch völlig außer Acht, dass die Türkei kein „sicherer Drittstaat“ für Flüchtlinge sein kann.
Die Prinzipien der Genfer Flüchtlingskonvention werden ausgehebelt
Die Genfer Flüchtlingskonvention, die die Staaten der Europäischen Union unterzeichnet haben, sieht ein Ausweisungs- und Zurücksweisungsverbot („Non-Refoulement-Prinzip“) in Staaten, in denen das Leben und die Freiheit der Flüchtlinge bedroht wären, vor. Die Türkei sichert den Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention aber nur Flüchtlingen aus europäischen Ländern zu, das Land hat die Konvention nur mit einem so genannten „geographischen Vorbehalt“ unterzeichnet: Für Menschen, die aus anderen Ländern – wie Syrien, Irak oder Afghanistan – fliehen, gilt sie dort nicht. In seinem Gutachten kommt der Rechtsanwalt Reinhard Marx zum Ergebnis, dass die Türkei demnach gemäß Unionsrecht nicht als „sicherer Drittstaat“ betrachtet werden kann.
Und auch die Praxis zeigt: Flüchtlinge auch aus Syrien oder dem Irak werden in der Türkei willkürlich inhaftiert, es kommt sogar zu Abschiebungen. Seine Grenzen gegenüber Syrien hält die Türkei mittlerweile weitgehend verschlossen, viele Kriegsflüchtlinge harren in Camps in der Nähe der Grenzübergänge aus. Da die Menschen in der Türkei keinen Flüchtlingsstatus erhalten, erhalten sie auch kaum Unterstützung, der Zugang zum Arbeitsmarkt und zur Gesundheitsversorgung ist ihnen größtenteils verwehrt.
Durch den nun verabredeten Deal verstoßen die europäischen Staaten gegen die von ihnen unterzeichnete Genfer Flüchtlingskonvention: Sie schieben zwar nicht direkt in Gefährderstaaten ab, nehmen aber billigend in Kauf, dass dies möglicherweise die Türkei tut, in die sie die Schutzsuchenden zurückschickt. Im Gegenzug für die Rücknahme der Flüchtlinge erhält die Türkei zusätzliche Gelder (die Rede ist von insgesamt sechs Milliarden) und Zugeständnisse bei Visaerleichterungen und den EU-Beitrittsverhandlungen.
Auch in Europa drohen Menschenrechtsverletzungen
Menschenrechtsverletzungen wird es aber auch in Europa geben: Um Flüchtlinge schnell wieder in die Türkei abschieben zu können, sollen sie in Griechenland festgehalten werden. Ausgerechnet das Land, in das schon im Jahr 2011 – auch von Deutschland – Dublin-Überstellungen gestoppt wurden, das mit der Unterbringung der Menschen heillos überfordert ist und kein funktionierendes Asylsystem vorweist, soll nun zum Flüchtlingslager der Europäischen Union werden. Dadurch drohen massive Menschenrechtsverletzungen: Zu befürchten sind Inhaftierungen der Schutzsuchenden und Massenabschiebungen ohne eine rechtsstaatliche und faire inhaltliche Prüfung der Schutzbedürftigkeit. Europa verabschiedet sich faktisch vom individuellen Recht auf Asyl.
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