Migrant_innenselbstorganisationen kritisieren die Berliner Förderpolitik der Integrationsbeauftragten

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Migrant_innenselbstorganisationen kritisieren die Berliner Förderpolitik der Integrationsbeauftragten

Berlin, 6.02.2014: In Ihrer Presseerklärung vom 21.1.2014 gibt die Beauftragte des Senats für Integration Frau Dr.
Lüke bekannt, dass in den Jahren 2014 und 2015 im Rahmen des neuen Partizipations- und
Integrationsprogramms 3 Mio. Euro zur „Stärkung von MigrantInnenorganisationen“ zur Verfügung gestellt
werden. Laut Presseerklärung werden 32 Projekte von Migrant_innenselbstorganisationen (MSO) gefördert.

Die Plattform „Kein Wir ohne uns“ hat diese Nachricht unter die Lupe genommen und kommt dabei zu anderen
Ergebnissen.
Zunächst bleiben Fragen nach der Transparenz und den Kriterien für die Auswahl der in den kommenden Jahren
geförderten Projekte: Welche erhobenen Bedarfslagen unter den Berliner_innen mit Migrationsgeschichte haben
zur Auswahl der Projekte geführt?! Gab es eine Auswahljury? Wenn ja, wie war sie zusammengesetzt und über
welche Expertisen verfügten die Mitglieder der Auswahljury?
Zuwendungsvoraussetzung war, neben einem wichtigen integrationspolitischen Anliegen, die Zuordnung zu
einem der folgenden drei Handlungsfelder:

Handlungsfeld 1
Gesellschaftliche Teilhabe und Empowerment von Menschen mit Migrationshintergrund und
ihren Organisationen (Selbstvertretung, Organisationfähigkeit, Hilfe zur Selbsthilfe).
Handlungsfeld 2
Weiterentwicklung von herkunftsübergreifenden Kooperationen und Angeboten.
Handlungsfeld 3
Strukturelle Verbesserung bestehender oder neuer Netzwerke und mehr politische
Partizipation der Menschen mit Migrationshintergrund im Gemeinwesen.

In der am 21.01.2014 veröffentlichten Liste ist jedoch weder erkennbar, welche der Projekte welchen der drei
neuen Handlungsfelder zugeordnet ist, noch wird deutlich, in welchen Projekten sich mehrere MSO zu
Kooperationsprojekten zusammen gefunden haben, ganz zu schweigen von Angaben über die Fördersumme.
Warum dieses Versteckspiel?!

Verglichen mit der bisherigen Integrationsförderung ist die Zahl der Projekte ungefähr gleich geblieben. Bei den
Trägervereinen wurde jedoch ca. ein Drittel ausgetauscht, d.h. zwölf Vereine werden nicht weiter gefördert und
elf Vereine sind neu aufgenommen worden. Auffällig ist dabei, dass drei der zwölf ausgeschiedenen Träger in die
Strukturförderung überführt worden sind. Diese drei Träger, Arbeit & Bildung/ Kumulus, BQN und die Werkstatt
der Kulturen, sind im Widerspruch zur integrationspolitischen Zielsetzung „Stärkung von
Migrantenselbstorganisationen“ keine MSO. Diese bleiben in Berlin auch weiterhin von einer strukturellen
Förderung ausgeschlossen!

Unter den zwölf ausgeschiedenen Trägervereinen befindet sich auch der Afrika-Rat e.V., eine in Berlin einmalige
und wichtige herkunftsübergreifende Dachorganisationen oder die afrikanische-deutsche Selbstorganisation
Joliba e.V., die ebenfalls mit afrikanischen Migrant_innen arbeiten. Überhaupt wird als einzige afrikanische 
das Oromo-Centrum Horn von Afrika e.V. gefördert. Auch MSO der arabischen Community Berlins sind aus der
Förderung herausgefallen (wie der Irakische Kulturverein Al Rafedain und Al Dar e.V.). Gefördert wird zwar das bei
einem Nachbarschaftshaus angesiedelte erfolgreich arbeitende arabische Frauenprojekt „Al Nadi“ – für die
Förderung arabischer MSO gilt jedoch: Fehlanzeige.
Was hat die verantwortlichen Entscheidungsträger_innen bewogen, für MSO aus diesen beiden wichtigen
Communities keine Förderung bereitzustellen? Was hat die Integrationsbeaugftragte bewogen, statt einer
afrikanischen MSO das Projekt „Begegnungs-, Beratungs- und Nähcafé für afrikanische Frauen“ des gut
strukturell gesicherten Trägers der Jugend- und Familienhilfe Lebenswelt gGmbh zu fördern?
Mit Blick auf das dritte Handlungsfeld des neuen Programms wäre u.E. eine Förderung des Afrikarats als der
Dachorganisation afrikanischer MSO in Berlin ein „politisches Muss“ gewesen.
Die für die polnischen Vereine bewilligten Mittel entsprechen keineswegs dem Bedarf der immerhin zweitgrößten
Zuwander_innegruppe in Berlin mit 45 000 Menschen. Insbesondere die Neuzuwander_innen – größtenteils aus
der EU (darunter über 30% aus Polen) – benötigen dringend verschiedene Formen der Beratung und Aufklärung.
Auch dieser Bedarf spiegelt sich nicht in der Vergabe den bewilligen Mittel wieder.

Entgegen der Verlautbarung, die Mittel kommen MSO zugute, erhalten wiederum Nicht-MSO einen Teil der
Fördergelder, darunter 2 Nachbarschaftsheime sowie die oben erwähnte Lebenswelt gGmbH.
In der Förderung werden zudem Vereine berücksichtigt, die in Berlin integrationspolitisch überhaupt nicht aktiv
sind, wie „agit polska“, ein Verein, der bislang ausschließlich den deutsch-polnischen Kulturaustausch und
deutsch-polnische Kunst-, Theater- und Musikprojekte umgesetzt hat. Berliner Sitz des überwiegend in Bremen
und Hamburg tätigen Vereins von Künstler_innenn und Kulturschaffenden ist eine Privatadresse in Berlin
Friedrichshain. Anderen Trägern der Partizipations- und Integrationsarbeit in Berlin ist der Verein „agit polska“
ebenso wenig bekannt wie die „Türkische Umweltinitiative in Deutschland e.V.“ mit Sitz in Braunschweig. Uns
genügt, die Webpräsenz der TUD zu studieren, um erhebliche Zweifel an der integrationspolitischen Relevanz für
Berlin zu bekommen, so ehrenwert die Absicht der dort versammelten türkischen und deutschen
Wissenschaftler_innen auch ist, sich vor allem in der Forschung für die Verbesserung der Umwelt in Deutschland
und der Türkei einzusetzen.
Worin besteht die Relevanz und Seriosität der Auswahl solcher Projekte für eine Förderung, die darauf zielt,
Berliner_innen mit Migrationshintergund Migrationsgeschichte und deren Selbstorganisationen zu empowern?

Wir fordern auch weiterhin für die Berliner Partizipations- und Integrationspolitik:

1. Eine Erhöhung des Finanzvolumens entsprechend der zuvor zu erhebenden Bedarfslagen.
2. Die strukturelle Förderung von MSO.
3. Eine verwaltungsübergreifende Finanzierung befristeter Projektarbeit .
4. Die Einrichtung eines transparenten Vergabeverfahrens unter Einschluss unabhängiger, fachpolitischer
Expert_innen.

Die Plattform „Kein Wir ohne uns“ wird von folgenden Organisationen unterstützt:
Migrationsrat Berlin-Brandenburg e.V.; Club Dialog e.V., Kurdische Gemeinde zu Berlin – Brandenburg e.V.;
Verband für interkulturelle Arbeit Berlin/Brandenburg e.V., Verein Iranischer Flüchtlinge in Berlin e.V., Kontakt-
und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrant*innen e.V., Polnischer Sozialrat e.V., Reistrommel e.V., Rroma
Informations Centrum e.V., Yekmal – Verein der Eltern aus Kurdistan e.V., Ini Rromnja, Joliba – Interkulturelles
Netzwerk in Berlin e.V., Afrika-Rat e.V., Al-Huleh e.V.