Die Seebrücken-Bewegung für eine andere Flüchtlingspolitik ist öffentlich brutal unterrepräsentiert. Doch es gibt Anzeichen eines Umdenkens.
Hannover, Kassel, Paderborn, Lörrach, Dinslaken, Trier: Eine kleine Auswahl von Orten, an denen am Wochenende gegen das Sterben im Mittelmeer, für die Entkriminalisierung der Seenotrettung und für eine andere Flüchtlingspolitik demonstriert wurde. Die Liste ließe sich noch lange weiterführen. Seebrücke nennt sich die Bewegung, die vor einem Monat mit einer Demonstration in Berlin startete, aber längst an allen möglichen Orten in Deutschland stattfindet. Viele ihrer Mitglieder vernetzen sich über Facebook, Rettungswestenorange ist die gemeinsame Farbe.
Bewegung? Ja. Wenn ein Wochenende nach dem anderen Tausende Menschen unter einem gemeinsamen Banner auf die Straße gehen, dann kann man von einer Bewegung sprechen, die hier gerade entsteht. Es ist eine Bewegung, die – mindestens – eine rote Linie ziehen will. Die rote Linie heißt: Nein, wir lassen keine Menschen im Mittelmeer ertrinken. Nein, Abschiebungen nach Afghanistan sind kein Geburtstagsgeschenk. Nein, Seenotrettung ist kein Gegenstand für ein Pro und Contra. Ein liberal-humanistischer Minimalkonsens quasi, der hier verteidigt wird.
Warum das nötig ist, zeigt der Umgang mit der Seebrücken-Bewegung selbst: In der öffentlichen Wahrnehmung ist sie brutal unterrepräsentiert.
Es wiederholt sich, was in der gesamten Auseinandersetzung über Flüchtlingspolitik in den letzten Jahren zu beobachten ist: Während die AfD in jede Talkshow eingeladen wird, während die Journalistendichte bei Pegida so hoch war, dass sie sich gegenseitig interviewten, während jeder asylrechtliche Blödsinn, den die CSU in den Raum stellt, hoch und runter diskutiert wird, bleibt es um die Gegenseite merkwürdig still.
Vorsichtiges Umdenken
Mehr als acht Millionen ehrenamtliche Flüchtlingshelfer gab es 2015 in Deutschland, viele von ihnen sind nach wie vor aktiv, andere hinzugekommen. 87 Prozent der Wähler haben bei der letzten Bundestagswahl nicht der AfD ihre Stimme gegeben. Drei von vier Deutschen finden es richtig, dass NGOs im Mittelmeer Flüchtlinge retten. Man fragt sich schon, wann eine der deutschen Parteien auf die Idee kommen wird, dass diese Menschen eine wichtige Wählergruppe sein könnten, um die es sich zu werben lohnt.
Immerhin: Dass die Bayern-SPD vor wenigen Tagen den Kapitän des Rettungsschiffs „Lifeline“ mit ihrem Europapreis bedachte, kann man als kleines Anzeichen eines vorsichtigen Umdenkens deuten. Dass eine deutsche Stadt nach der anderen öffentlichkeitswirksam anbietet, aus Seenot gerettete Flüchtlinge aufzunehmen, ebenso. Vielleicht zahlt er sich doch noch aus, der lange Atem der Unterrepräsentierten.