Gemeinsame Stellungnahme gegen die Inhaftierung von Geflüchteten am Flughafen Berlin Brandenburg (BER) und gegen Asyl Schnellverfahren)
Die Unterzeichnenden lehnen
die aktuelle n Pläne zum Bau eines sogenannten Ein und
Ausreisezentrums am Flughafen BER in Schö nefeld aus menschenrechtlichen und
humanitären Gründen ab. Den geplanten Ausbau von Haftplätzen für Geflüchtete sowie die
geplante Ausweitung von Asylschnellverfahren am Flughafen lehnen die Unterzeichnenden
ab. Sie fordern das Land Brandenburg sowie die B undesregierung auf, auf die Errichtung und
Inbetriebnahme eines solchen „Behördenzentrums“ zu verzichten. Anstelle eines hunderte Millionen schweren Prestigeprojektes mit dem Fokus auf Abschottung und Abschiebungen braucht es dringend mehr Investitionen im Bereich Teilhabe sowie faire und rechtsstaatliche Asylverfahren. Flughafenasylverfahren müssen abgeschafft, die bestehende Haftanstalt am BER geschlossen und die Inhaftierung von Geflüchteten beendet werden.
Begründung:
1) Flughafenasylverfahren sind rechtsstaatlich fragwürdig und müssen abgeschafft werden
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die Zentrale Ausländerbehörde des Landes Brandenburg (ZABH) rechnen ab 2025 mit jährlich 300 400 Flughafenasylverfahren am Flughafen BER ( Landtag B randenburg Drs. 7/4377 , S. 2). Dies würde eine extreme Steigerung bedeuten, denn die Anzahl der dort bisher durchgeführten Flughafenasylverfahren lag 2021 bei 41 Verfahren (2020: 5, 2019: 19, 2018: 33, 2017: 15, 2016: 5, 2015: 3). Träfen die Schätzungen zu , wäre der Flughafen Berlin Brandenburg als Standort für Flughafenasylverfahren gleichauf mit Frankfurt a. M (BT Drucks. 20/1673 , S.3).
Wir halten das Flughafenasylverfahren nach § 18a Asylgesetz für rechtsstaatlich höchst fragwürdig. In Asyl Schnellverfahren haben Schutzsuchende gegenüber dem regulären Asylverfahren gravierende Nachteile. Dazu zählen die enorm kurzen (Klage –)Fristen sowie die durch die Inhaftierung bedingten großen Hürden beim Zugang zu unabhängiger Beratung und anwaltlicher Vertretung. Darüber hinaus ist der Rechtsschutz im Flughafenverfahren stark eingeschränkt. Personen, die als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt werden, sitzen häufig wochen bis monatelang in der an das Flughafenasylverfahren anschließenden Zurückweisungshaft fest. Im Flughafenverfahren werden regelmäßig auch Familien mit Kindern inhaftiert. Darüber hinaus bestehen EU rechtlich grundsätzliche Zweifel an der Zulässigkeit der Inhaftierung von Schutzsuchenden im Flughafenverfahren (siehe EuGH Urteil vom 30. Juni 2022, Rechtssache C 72/22 PPU, Verfahren M. A.).
Die Ablehnungsquote im Flughafenverfahren ist in den letzten quote im Flughafenverfahren ist in den letzten Jahren Jahren kontinuierlich kontinuierlich gestiegen, von 5,1 Prozent in 2013 auf 52,7 Prozent in 2019. Die extrem kurzen Fristen und die regelmäßig fehlende rechtliche Beratung im Vorfeld der Asylanhörung führen zudem zu regelmäßig fehlende rechtliche Beratung im Vorfeld der Asylanhörung führen zudem zu überproportional hohen Ablehnungsquoten als „offensichtlich unbegründet“ im Vergleich.
2) Freiheitsentzug ist ein massiver Grundrechtseingriff
Neben der geplanten Ausweitung des Flughafenasylverfahrens sehen wir auch den geplanten Ausbau des „Ausreisegewahrsams“ als einer Form der Absc hiebungshaft in Schönefeld höchst kritisch. Nach aktuellem Planungsstand sind im geplanten „Transit und Gewahrsamsgebäude zukünftig etwa 120 Haftplätze vorgesehen. Das entspricht fast einer
Versechsfachung der aktuell zur Verfügung stehenden Plätze, denn der Asyl und Ausreisegewahrsam am BER verfügt aktuell über 20 belegbare Plätze ( Landtag Brandenburg Drs. 7/4370 , S. 6). Das Innenministerium Brandenburg geht in einer Schätzung von künftig 600 700 Inhaftierungen im Ausreisegewahrsam pro Jahr aus. Auch dies wäre eine drastische
Steigerung.
Freiheitsentzug stellt einen massiven Eingriff in die Grundrechte dar, weshalb er gemäß Artikel 104 Grundgesetz richterlich angeordnet bzw. unverzüglich, möglichst am selben Tag überprüft werden muss. Das Asylgesetz sieht abweichend hiervon eine erstmalige richterliche Überprüfung der Inhaftierung Asylsuchender erst nach 30 Tagen vor. Die Inhaftierung kann sich stark negativ auf die psychische und physische Gesundheit der Betroffenen auswirken . In der Praxis kommt es mit großer Regelmäßigkeit zu schweren Verfahrensfehlern: So hat sich nach Statistiken des Rechtsanwalts Peter Fahlbusch aus Hannover jede zweite richterlich verfügte Abschiebungshaft bei der anwaltlich veranlassten Überprüfung als rechtswidrig erwiesen. Auch vor dem Hintergrund dieser Fehlerquote ist jegliche Form der Abschiebungshaft kritisch zu sehen und der Bau einer neuen Haftanstalt am Flughafen abzulehnen. Die Größenordnung aktueller Prognosen der Landesregierung zu zukünftigen Gewahrsamsfällen am BER lässt befürchten, dass Brandenburg künftig systematisch davon Gebrauch machen will. Abschiebehaft darf laut Europarecht immer nur ultima ratio sein, wenn der Zweck der Haft nicht durch ein milderes Mittel erreicht werden kann . Mehr Haftkapazitäten führen erwiesenermaßen nicht zu mehr Abschiebungen.
3) Teilhabe statt Inhaftierung und Abschiebungen
Die aktuellen Pläne zum Bau des sogenannten Ein und Ausreisezentrums sind ein Vermächtnis des ehemaligen Bundesinnenministers Horst Seehofer und stehen in einer Kontinuität der Abschreckung und Abschottung. Anstatt der massiven Ausweitung des Freiheitsentzugs und der Zunahme von Asylschnellverfahren unter Haftbedingungen sowie
einem geplanten Anstieg von A bschiebungen sollte das Flughafenasylverfahren abgeschafft, die bestehende Haftanstalt am Flughafen BER geschlossen und die Inhaftierung von Geflüchteten beendet werden.
In Brandenburg und bundesweit müssen stattdessen die Förderung von Teilhabe von Geflüchteten sowie das Ausschöpfen von Bleiberechtsmöglichkeiten im Zentrum stehen. Das Flughafenasylverfahren geht zu Lasten der Fairness und Rechtsstaatlichkeit. Der Ruf nach ‚konsequenteren‘ und ‚effizienteren‘ Abschiebungen führt regelmäßig dazu, dass Geflüchtete
abgeschoben werden, obwohl sie seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, hier leben und arbeiten oder schwer krank sind.
Die Stellungnahme wurde initiiert von PRO ASYL Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für
Flüchtlinge , Flüchtlingsrat Brandenburg und Flüchtlingsrat Berlin.