Am 2. Juli 2015 hat der Bundestag das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung verabschiedet. Das Gesetz ist in Teilen geprägt von der Absicht, bereits in Deutschland lebende Flüchtlinge besser zu stellen. Gleichzeitig werden rechtliche Möglichkeiten geschaffen, um rigoroser gegen neu einreisende Asylsuchende vorzugehen. Ein Überblick über die gesetzlichen Neuerungen und deren Konsequenzen.
Haftgründe im Dublin-Verfahren werden uferlos ausgedehnt
Das neue Gesetz schafft die rechtliche Möglichkeit, Asylsuchende allein aus dem Grund zu inhaftieren, weil sie aus einem anderen EU-Staat eingereist sind. Nach § 2 Abs. 15 Satz 2 wird die Dublin-Haft möglich sein, „wenn der Ausländer einen Mitgliedstaat vor Abschluss eines dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsprüfung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz verlassen hat…“. Dies wird dazu führen, dass die Mehrheit der Asylsuchenden, die unter die Dublin-III-Verordnung fallen, in Haft genommen werden kann. Dies verstößt gegen die Dublin-III-Verordnung, wonach nicht allein deswegen, weil ein Dublin-Verfahren durchgeführt wird, inhaftiert werden darf.
Ebenfalls besonders kritikwürdig ist der Haftgrund gem. § 2 Abs. 14 Nr. 4. Danach kann ein Ausländer inhaftiert werden, der zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge für einen Schleuser i.S.v. § 96 AufenthG aufgewandt hat. Wie sollen Schutzsuchende ohne sog. Schleuser einreisen, wenn legale Wege weitgehend abgeschnitten sind? Seit 1980 hat Deutschland systematisch die Visa-Pflicht für alle Herkunftsländer von Asylsuchenden eingeführt. Flankiert wurde dies mit der Schaffung von Sanktionsregelungen für Transportunternehmen. Flüchtlinge können nicht einfach legal nach Deutschland reisen. Ein Visum wird ihnen nicht ausgestellt. Sie sind in aller Regel auf Fluchthelfer angewiesen, um Schutz in Europa suchen zu können.
PRO ASYL kritisiert grundsätzlich die Inhaftierung von Asylsuchenden in Dublin-Verfahren. Haft ist eine völlig unangemessene Maßnahme gegenüber Schutzsuchenden. Hinzu kommt, dass ein großer Teil der Asylsuchenden traumatisiert oder aus anderen Gründen besonders schutzbedürftig ist – Haft ist in diesen Fällen erst recht inakzeptabel.
Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete
Die stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung ist zu begrüßen als Schritt in die richtige Richtung zu mehr Rechtssicherheit für Geduldete. Mit der scheinheiligen Politik früherer Jahre, die immer nur stichtagsbezogene „Altfallregelungen“ für langjährig Geduldete vorsah und so tat, als würde das Problem der Langzeitduldung verschwinden, ist jetzt Schluss.
Es ist zu begrüßen, dass den langjährig hier Lebenden die Möglichkeit gegeben wird, endlich eine gesicherte Aufenthaltsperspektive zu erlangen. Auch wenn nach wie vor hohe Hürden bei Integration und Spracherwerb bestehen, so können doch viele der Geduldeten künftig von der Bleiberechtsregelung profitieren.
Vorgesehen ist nach § 25b ein stichtagsunabhängiges Bleiberecht für langjährig Geduldete, die
– sich als Familie mit minderjährigen Kindern mindestens sechs Jahre in Deutschland aufhalten
– sich ohne minderjährige Kinder mindestens acht Jahre in Deutschland aufhalten
– mindestens Deutschkenntnisse A2 besitzen und ihren Lebensunterhalt durch Arbeit überwiegend sichern oder dieses absehbar in Zukunft tun werden. Diese Voraussetzungen gelten jedoch nicht, wenn sie wegen Alter, Krankheit oder Behinderung nicht erfüllt werden können.
– ihre Identität offenbaren und einen Pass vorgelegen bzw. sich nachweisbar vergeblich um einen Pass bemühen, und nicht einen Ausweisungstatbestand gem. § 54 erfüllen.
Positiv ist, dass der Lebensunterhalt nicht bereits zum Erteilungs- bzw. Verlängerungszeitpunkt eigenständig gesichert sein muss. Die Sicherung des Lebensunterhalts stellt geduldete Flüchtlinge aktuell vor große Probleme, da sie trotz der Liberalisierungen im Beschäftigungsrecht in manchen Teilen Deutschlands nach wie vor durch Verbote vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden (siehe § 33 BeschVO). Dies hat statistisch nachweisbare Folgen: Nach der Studie „Migranten im Niedriglohnsektor unter besonderer Berücksichtigung der Geduldeten und Bleibeberechtigten“ des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom Oktober 2011 waren 2010 nur 11 % aller geduldeten Flüchtlinge in Deutschland erwerbstätig.
Es ist zu bedauern, dass das Bleiberecht nach dem Vorbild früherer Altfallregelungen an einer ganzen Liste von Ausschlussgründen festhält. Immerhin: Es wird nicht an vergangenes Fehlverhalten anknüpft. Nur wer nach wie vor noch gegen seine Mitwirkungspflicht verstößt, ist vom Bleiberecht ausgeschlossen.
Auf der Negativseite ist der völlige Ausschluss vom Familiennachzug zu verbuchen. Auch noch nach Jahren werden die InhaberInnen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b nicht das Recht haben, ihre Ehegatten nach Deutschland kommen zu lassen. Dies ist nicht akzeptabel, da der Schutz der Ehe und Familie auch für diejenigen gelten muss, die sich dauerhaft hier aufhalten.
Verbessertes Bleiberecht für SchülerInnen – habherziger Schutz vor Abschiebung während der Ausbildung
Das bereits bestehende Bleiberecht für junge Geduldete nach § 25a AufenthG wird verbessert. Und zwar wird anders als bisher nicht erst nach sechs Jahren, sondern bereits nach vier Jahren Aufenthalt und Schulbesuch in Deutschland ein Bleiberecht erteilt werden. Dies ist positiv. Allerdings wird die Regelung weiterhin unnötig durch starre Altersgrenzen eingeengt werden. Und zwar wird das Bleiberecht für gut integrierte Jugendliche (§ 25a) nur erteilt, wenn sie vor ihrem 21. Geburtstag die vier Jahre Schulbesuch voll haben.
Das hat problematische Folgen: Gerade viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden nicht von dem Bleiberecht profitieren, da die meisten erst mit 17 Jahren einreisen. Von der allgemeinen Bleiberechtsregelung für gut Integrierte können sie erst profitieren, wenn sie bereits mindestens acht Jahre in Deutschland gelebt haben (§ 25b). Die Folge: Junge Menschen werden in der Duldung gehalten, die als prekärer Status eine Integration massiv erschwert, da z.B. potentielle Arbeitgeber (für eine Ausbildung) abgeschreckt werden.
Neben dieser Änderung wurde innerhalb der Großen Koalition über ein neues Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Ausbildung verhandelt. Anstatt eines echten Aufenthaltstitels für die Zeit der Ausbildung sollen die Jugendlichen nun mit einer Duldung abgespeist werden (§ 60a Abs. 2). Die Ausbildung muss vor Erreichen des 21. Lebensjahrs begonnen werden. Außerdem darf es sich nicht um einen ehemaligen Asylsuchenden handeln, dessen Herkunftsland auf der Liste „sicherer Herkunftsstaaten“ steht. Das heißt: Mal wieder sind Flüchtlinge aus den Westbalkanstaaten ausgeschlossen.
Immerhin hat die Duldung zu Ausbildungszwecken eine besonders lange Laufzeit. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie kein Aufenthaltsrecht begründet. Für viele Arbeitgeber geht von einer Duldung ein abschreckendes Signal aus, ein Ausbildungsplatz wird oftmals an Duldungsinhaber von vorneherein nicht vergeben. Wer jungen Menschen wirklich eine Chance auf Integration geben will, muss sie mit einem echten Aufenthaltstitel ausstatten!
Neue Wiedereinreiseverbote sollen Westbalkanflüchtlinge kriminalisieren
Die Neuregelung, die es dem Bundesamt ermöglicht, die nach der „Sicheren-Herkunftsländer-Regelung“ abgelehnten Asylsuchenden mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot zu belegen (§ 11 Abs. 7,) ist eine erneute Verschärfung, die gegen die Westbalkanflüchtlinge gerichtet ist. Nachdem die Große Koalition mit Zustimmung des Bundesrates bereits 2014 in Verkennung massiver menschenrechtlicher Defizite in den Staaten des Westbalkans eine diskriminierende Sonderbehandlung im Asylverfahren durchgesetzt hat, droht nun eine weitere Diskriminierung.
Wenn Asylsuchende aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien EU-weit mit einer Einreisesperre versehen werden, flankiert dies auf fatale Weise die Politik mindestens zweier dieser Staaten (nämlich Serbien und Mazedonien), insbesondere Roma schon an der Ausreise zu hindern, sie nach einer Wiedereinreise/Abschiebung wegen ihres angeblich „illegalen“ Auslandsaufenthaltes bzw. der angeblichen Angabe falscher Tatsachen zu befragen und teilweise zu sanktionieren.
Diese Entwicklung wird durch die Wirkungen des neuen § 11 Abs. 7 verstärkt, indem die Betroffenen eine EU-weite Einreisesperre erhalten und bereits an den EU-Außengrenzen von Ungarn oder Bulgarien abgefangen werden. Wer es dennoch bis nach Deutschland schaffen sollte, dem droht eine strafrechtliche Sanktionierung. Denn wer unter Umgehung eines Einreiseverbotes einreist, kann strafrechtlich belangt werden. Diese Regelung wird zu einer völlig unverhältnismäßigen Kriminalisierung der Betroffenen führen.
Ausreisegewahrsam: verfassungsrechtlich fragwürdig
Nachdem das Instrument der Abschiebungshaft in den letzten Jahren kaum noch praktische Relevanz hat, wird es nun durch verschiedene Maßnahmen wiederbelebt werden. Eine der problematischsten ist die Einführung des sog. Ausreisegewahrsams: Stehen Sammelabschiebungen bevor, wird für vier Tage ohne die üblichen rechtstaatlichen Anforderungen (Vorliegen spezieller Haftgründe) die Abschiebungshaft angeordnet werden können. Dies ist mit Europarecht und Verfassungsrecht nicht vereinbar.
Das Gesetz ist nicht zustimmungspflichtig, so dass die für Anfang Juli erwartete Befassung im Bundesrat nur noch eine Formsache sein wird. Ein genauer Termin für das Inkrafttreten ist noch nicht bekannt.
Quelle: Pro Asyl