PM 16.8.22: Ein Schritt in die richtige Richtung, aber ein zu kleiner
Flüchtlingsrat enttäuscht über Berliner Regelung für Drittstaatsangehörige aus der Ukraine
Seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine flüchten Millionen Menschen. Unter den Geflüchteten sind auch Menschen, die in der Ukraine gelebt haben, aber keine ukrainische Staatsbürgerschaft besitzen. Sie erhalten bisher in Berlin anders als ukrainische Staatsangehörige den Status des ”temporären Schutzes” nach § 24 AufenthG nur, wenn sie Familienangehörige ukrainischer Personen sind, eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis der Ukraine besitzen oder dort als international Schutzberechtigte anerkannt wurden.
Die Beschlüsse der EU sehen jedoch darüber hinaus die Anerkennung des Kriegsflüchtlingsstatus auch für solche nichtukrainische Staatsangehörige vor, die entweder bedeutsame Verbindungen zur Ukraine (meaningful links) haben oder für die eine dauerhafte und sichere Rückkehr in ihr Herkunftsland unzumutbar ist.[1]
Berlin einigte sich nun nach monatelangen Gesprächen in einer Arbeitsgruppe aus verschiedenen Senatsverwaltungen zwei Wochen vor Ablauf des legalen Aufenthalts nach der Ukraine Aufenthaltsübergangsverordnung[2] auf eine Übergangsregelung für studierende Drittstaatsangehörige aus der Ukraine, die sich ebenso wie andere Drittstaatsangehörige aus der Ukraine bisher oft in einer aufenthalts-, sozial- und arbeitsrechtlich völlig prekären Situation befinden.
Die vom Senat beschlossene Regelung bleibt jedoch hinter den Forderungen von NGOs, Betroffenen und der Integrationsbeauftragten des Landes Berlin weit zurück[3]. So sieht der Senatsbeschluss zwar vor, aus der Ukraine geflohenen Drittstaatsangehörigen Studierenden eine „Fiktionsbescheinigung“ für sechs Monate zu erteilen, erwartet aber im Gegenzug, dass sie in dieser Zeit den Nachweis eines Studienplatzes in Deutschland bzw. Berlin vorlegen. Das dürfte in der Regel unmöglich sein, weil das sprachliche Niveau C1 für den Hochschulzugang in sechs Monaten kaum zu erreichen ist. Hinzu kommen die in der Regel nur einmal pro Jahr stattfindende Bewerbungstermine der Hochschulen, der Numerus Clausus (5 % Quote für Studienbewerbende aus Nicht EU Staaten) und das Anerkennungsverfahren für die im Ausland erworbenen Qualifikationen zum Studium.
Nach der nunmehr nur für die Teilgruppe der Studierenden getroffenen Berliner Regelung bleibt aber vor allem das Verfahren zur Anerkennung des Kriegsflüchtlingsstatus für nichtukrainische Staatsangehörige vollkommen ungeklärt, die keine Studierende sind. Nicht geregelt wurde die Anerkennung von Kriegsflüchtlingen, die bedeutsame Verbindungen zur Ukraine (meaningful links) haben, zB als Geschäftsleute, oder denen eine dauerhafte und sichere Rückkehr in ihr Herkunftsland unzumutbar ist. Ihnen droht bereits zum 1. September 2022 statt der Anerkennung des Kriegsflüchtlingsstatus die aufenthalts-, arbeits- und sozialrechtliche Illegalisierung.
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Nora Brezger vom Flüchtlingsrat Berlin ist enttäuscht:
“Was im Berliner Senatsbeschluss völlig fehlt, sind Kriterien zur Prüfung und Anerkennung der in den EU Beschlüssen zur Aufnahme von Kriegsflüchtlingen genannten bedeutsamen Verbindungen, die die Menschen in der Ukraine haben, sowie Maßgaben dazu, wenn diese Verbindungen fehlen, sich mit der Situation Herkunftsland zu beschäftigen. Zunächst muss es dabei stets um den Krieg in der Ukraine gehen, dem Lebensmittelpunkt der Menschen bis zum 24 Februar 2022.”
Und Brezger weiter:
“Dabei bezieht die Regelung nur Studierende aus der Ukraine mit ein, nicht aber Geschäftsleute und andere Personen, die viele Jahre in der Ukraine gelebt haben. Wir befürchten, dass viele ins Asylverfahren abgeschoben werden könnten, mit allen negativen Konsequenzen wie Arbeits- und Ausbildungsverbot, Einweisung in Asylaufnahmeeinrichtungen etc.
Wir begrüßen den Schritt, eine Berliner Regelung für Drittstaater:innen nach § 24 AufenthG zu schaffen, unter den auch alle vor dem Krieg geflüchteten Ukrainer:innen fallen, fordern den Senat jedoch auf, unbedingt nachzujustieren und
- ALLE aus der Ukraine geflohenen Drittstaatsangehörigen in die Regelung mit einzubeziehen
- Die Fiktionsbescheinigung auf mindestens 12 Monate auszustellen, so dass die Menschen eine reale Chance haben, sich eine Perspektive zu schaffen und
- die bedeutsamen Verbindungen der Menschen in die Ukraine immer vorrangig zu prüfen und sich erst im zweiten Schritt mit der Situation im Herkunftsland der Person zu beschäftigen.
Außerdem fordern wir den Senat auf, sich auf Bundesebene einzusetzen für eine bundesweite Erteilung des § 24 AufenthG für zwei Jahre für alle aus der Ukraine geflüchteten Menschen, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit.
Pressekontakt:
Flüchtlingsrat Berlin, buero@fluechtlingsrat-berlin.de, Tel. 0176 77209320