Hebammen und Kinderärzte schlagen Alarm: Immer mehr Neugeborene geflüchteter Eltern bekommen keine Geburtsurkunde. Rechtens ist das nicht.
Die ersten Vorsorgeuntersuchungen hatte das Baby nur bekommen, weil ein Arzt Mitleid hatte. Doch nun muss es zum Orthopäden, der Hüftultraschall bei der U3 war auffällig. „Das macht aber kein Arzt ohne Bezahlung“, berichtet Simone Logar vom Berliner Hebammenverband. Das Problem: Das vor vier Monaten in Berlin geborene Kind syrischer Flüchtlinge hat keine Geburtsurkunde. Für die Behörden existiert es damit nicht und bekommt auch keinen Versicherungs- oder Untersuchungsschein.
Mehr als 400 solcher Fälle haben Berliner Hebammen und Kinderärzte allein seit dem vergangenen Herbst gezählt. Dabei hat jedes in Deutschland geborene Kind ein Recht auf eine Geburtsurkunde. „Aber in den Ländern hapert es an der praktischen Umsetzung“, sagt Claudia Kittel vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Das unabhängige Institut veröffentlicht deshalb am 1. Juni zum Internationalen Kindertag einen Flyer auf Deutsch, Arabisch, Englisch und Farsi, der Eltern informieren soll.
Normalerweise ist es so: Wird ein Kind geboren, so meldet die Klinik die Geburt an das zuständige Standesamt. Dort müssen die Eltern dann binnen vier Wochen die Geburt beurkunden lassen. Dafür legen sie ihre eigenen Geburtsurkunden und Ehepaare auch die Eheurkunde vor. Erst mit der Geburtsurkunde können Krankenversicherung und Leistungen wie das Kindergeld beantragt werden.
Beim Familienzuwachs Geflüchteter wird es komplizierter: Zwar meldet auch hier die Klinik die Geburt. Aber in den Standesämtern offenbaren sich scheinbar unüberwindbare bürokratische Hürden. „Erklären Sie mal einem Standesbeamten, dass die Papiere im Mittelmeer versunken sind oder dass Sie die Eheurkunde auf der überstürzten Flucht gar nicht mitgenommen haben“, sagt Hebamme Simone Logar.
Zum Teil seien die Eltern aufgrund monatelanger Wartezeiten noch nicht einmal beim Lageso registriert und haben im Zweifel gar keinen Identifikationsnachweis. Die Berliner Standesbeamten würden aber in der Regel darauf bestehen, dass die Eltern Originalpapiere und beglaubigte Übersetzungen vorlegen, bevor sie ein Kind beurkunden.
Für das Kind hat das unmittelbare Folgen. Genau deshalb hat die Bundesregierung im letzten Staatenbericht an die Vereinten Nationen ausdrücklich betont: „Die inzwischen geltende bundeseinheitliche Rechtslage stellt sicher, dass für alle Kinder von Flüchtlingen und Asylsuchenden, die auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland geboren werden, Geburtsurkunden ausgestellt werden.“ In der UN-Kinderrechtskonvention hat sich Deutschland verpflichtet, jedes Kind „unverzüglich nach seiner Geburt in ein Register einzutragen“.
So schön die Theorie, in der Praxis kommt diese klare Regelung offenbar nicht an. Schon zwei Mal ist Deutschland offiziell vor dem UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes gerügt worden, weil Kinder ohne Geburtsurkunde bleiben. Das erste Mal 2004, zuletzt vor zwei Jahren. Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen der vergangenen zwei Jahre häufen sich nun die Fälle.
Dabei können Standesämter bei Eltern ohne Papiere statt der Geburtsurkunde zunächst einen Auszug aus dem Geburtenregister aushändigen. Viele Behörden erkennen dieses Dokument an und Leistungen können beantragt werden. „Leider informieren die Standesbeamten die Eltern nicht über diese Möglichkeit“, sagt Claudia Kittel.
„Der Innensenator müsste die Standesämter anweisen, dass Neugeborene Geflüchteter unverzüglich zumindest einen Registerauszug erhalten“, fordert Kittel. Gemeinsam mit den Berliner Hebammen und den Kinder- und Jugendmedizinern habe sie bereits vor Wochen eine entsprechende Anfrage an Frank Henkel (CDU) gestellt. Bisher ohne Antwort.
Infoblatt für Geflüchtete
Ihr Baby in Deutschland zu registrieren ist für Geflüchtete alles andere als einfach. Mit dem Flyer „So registrieren Sie Ihr neugeborenes Kind“ wollen das Deutsche Institut für Menschenrechte, Berliner Hebammen und KinderärztInnen etwas Licht ins Dunkel bringen und betroffene Eltern informieren.
Das Infoblatt wird am heutigen Mittwoch auf der Internetseite www.institut- fuer-menschenrechte.de veröffentlicht.Es steht in den Sprachen Deutsch sowie Englisch, Arabisch und Farsi zum Herunterladen bereit.
Ende der Woche will das Institut je 300 Flyer als Starterset an alle Berliner Geburtskliniken verschicken.