Flüchtlinge an der HU Berlin: „Endlich wieder ein bisschen Selbstbewusstsein“

Aufgezeichnet von Carolin Wiedemann

Ob deutscher, ausländischer oder gar kein Pass: An der Humboldt Universität Berlin dürfen alle als Gasthörer an einem Seminar teilnehmen. Fünf Studierende erzählen ihre Geschichte und warum sie an dem Kurs teilnehmen.

„Woher kommt eigentlich das Konzept des Flüchtlings?“, fragt Nader Talebi auf Englisch in den Seminarraum. „Gäbe es Flüchtlinge, wenn es keine Nationalstaaten gäbe?“

Einige Studenten heben den Arm. Talebis Kollegin Firoozeh Farvardin übersetzt die Frage auf Farsi. Noch mehr Arme im Seminarraum gehen in die Höhe. Vor den großen Fenstern verdunkelt sich an diesem Dienstagnachmittag im November der Berliner Himmel, durch die Scheiben dringt leise das Rattern der Züge vom S-Bahnhof Friedrichstraße gleich um die Ecke.

Das Seminar „Spaces of Migration“ ist einer von zwei Kursen des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM), die dieses Semester im Rahmen der Initiative „Flüchtling als Gasthörer“ der Humboldt Universität angeboten werden. Auf die 35 Plätze pro Seminar konnten sich Flüchtlinge, internationale Studenten und Studenten mit deutschem Pass gleichermaßen bewerben.

Zwar können Teilnehmer, deren Aufenthaltstitel noch nicht geklärt ist oder deren Abschlüsse nicht anerkannt werden, wie auch an anderen Hochschulen noch keine Credit Points erwerben. Doch was sie in den beiden Seminaren des Berliner Instituts bekommen, ist das Gefühl, auf Augenhöhe lernen und diskutieren zu können: Der Unterricht findet auf Englisch und Farsi sowie auf Englisch und Arabisch statt – ein Angebot, das bislang wohl einzigartig ist an einer deutschen Universität.

Fünf Studenten erzählen, wer sie sind und warum sie hier mitmachen.

Saeed K., 37, aus Iran: „Endlich wieder etwas Selbstbewusstsein“

„In den letzten fünf Jahren bin ich an den Gebäuden der HU immer wieder vorbeigelaufen und habe mich nie getraut hineinzugehen. 2010 wurde ich als einer von 50 iranischen Flüchtlingen in Deutschland aufgenommen.In Teheran hatte ich eine Menschenrechtsorganisation mitgegründet und wurde deshalb mehrmals festgenommen und gefoltert. Gegen eine Kaution von 27.000 Euro, die meine Familie in Raten abbezahlt, kam ich beim letzten Mal frei. Sie würden mich trotzdem wieder einsperren. Weiße Folter heißt es, wenn sie dich isolieren, wenn sie dich psychisch fertigmachen.

In Deutschland haben die Ämter weder mein Abitur noch meinen Studienabschluss anerkannt. Ich hatte bislang das Gefühl, Universitäten seien für Flüchtlinge unerreichbar. Doch dann habe ich in einem Verein für junge Flüchtlinge von diesem Seminar erfahren, das auch noch in meiner Muttersprache unterrichtet wird. Das gibt uns endlich wieder ein bisschen Selbstbewusstsein. Und auch Kontakt zu deutschen Studenten.“

Nagi K., 30, aus dem Sudan: „Ich möchte meinen Master fertigmachen“

„In Khartum habe ich Internationale Beziehungen studiert. Allerdings ohne Abschluss – in meiner Masterarbeit schrieb ich über die Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs zum Darfur-Konflikt im Sudan, ein Thema, das die Uni nicht anerkennt. Denn die sudanesische Regierung lehnt alle Ermittlungen diesbezüglich ab. Als Menschenrechtsaktivist wurde ich außerdem verfolgt und bin schließlich geflohen.Doch in Holland wollten mich die Behörden zurück in den Sudan abschieben, ich musste untertauchen und ohne Papiere auf der Straße leben. Dort war ich Teil der Bewegung ‚We are here‘, die eng mit den Protesten der Geflüchteten in Berlin rund um den Oranienplatz zusammenarbeitete. So kam ich dann hierher. Ich bin froh, wieder an der Uni zu sein, und wenn ich endlich einen Aufenthaltstitel bekomme, werde ich hoffentlich meinen Master an der HU fertigmachen. Die Abschlussarbeit habe ich ja bereits geschrieben.“

Judith B., 27, aus Deutschland: „Hier habe mal ich weniger zu sagen“

„Ich habe viele geflüchtete Freunde in Berlin und werde täglich Zeugin rassistischer Verhältnisse. Das Seminar bricht manche Hierarchien auf: Dass ich nicht immer alles gleich verstehe, dass ich weniger zu sagen habe als diejenigen, die in dieser Gesellschaft sonst eher nicht gehört werden, stellt Selbstverständlichkeiten infrage.Hier kommen Menschen mit verschiedensten Erfahrungen zusammen. Und erst deren Austausch macht die Theorien der Migrationswissenschaft, die wir besprechen, lebendig. Das bringt viel mehr als Selbstgespräche und Bücher von Leuten wie mir, die relativ bequem am Schreibtisch über Menschen schreiben, die nebenan ins nächste Lager gepfercht werden und nicht an die Uni dürfen. Ich wünsche mir mehr solcher Räume und würde gern häufiger etwa von männlichen und weiblichen Freiheitskämpfern, Akademikern und Sozialarbeitern aus anderen Ländern lernen können.“

Bashar A., 30, aus Syrien: „Die Solidarität hat mich aufgefangen“

„Vor dem Krieg waren wir eine wohlhabende Familie, wir hatten zwei Häuser in unserer Heimatstadt Homs und eine Textilfabrik, die ich nach dem Studium übernommen habe. Die Fabrik, die Häuser, alles ist zerstört, das Geld auf der Bank hat seinen Wert verloren. 6000 Euro blieben mir, die ich zur Flucht brauchte. Meine Frau ist in Ägypten, meine Geschwister sind alle verstreut, auf der Flucht auseinandergetrieben.Vor drei Monaten kam ich in Deutschland an, ich besitze gar nichts mehr und bin allein. Doch die Solidarität Einzelner hier hat mich aufgefangen. Ich wohne bei Deutschen, die ich gleich zu Beginn in einem Lager kennenlernte, und hier im Seminar an der HU habe ich Freunde gefunden. Außerdem lerne ich den deutschen Lebensstil besser kennen. Das ist mir total wichtig, denn meine Zukunft ist hier.“

Said Ali H., 32, aus Afghanistan: „Ich will Professor werden“

„Direkt nach der Machtergreifung der Taliban bin ich losgelaufen, mit 15 Jahren, von Afghanistan zu Fuß nach Iran. Dort schlug ich mich mit Arbeit in einer Schuhfabrik durch. Als 2003 die Amerikaner kamen, kehrte ich zurück zu meiner Familie und schloss das Gymnasium ab. Aber das Land war korrupt und die Unterdrückung noch genauso groß. Ich musste wieder fliehen.In Aserbaidschan habe ich dann einen Bachelor in englischer Philologie gemacht. Doch ich durfte dort nicht dauerhaft bleiben. Hier in Berlin warte ich seit März darauf, endlich meinen Asylantrag stellen zu können. Ich hasse das Heim, in dem ich wohnen muss. Wir sind bis zu acht Männer in einem Raum, es ist immer laut, und ich bin nie allein.

Die Universität ist der einzige Ort, an dem ich etwas Entspannung finde. Hoffentlich werden sie meinen Bachelor anerkennen, dann kann ich weiterstudieren und Professor werden.“

Kiron University: Wo Flüchtlinge studieren können – gratis und auf Englisch

Mangelnde Deutschkenntnisse, fehlende Unterlagen: Der Weg an die Uni ist vielen Flüchtlingen versperrt. Die Kiron University in Berlin ermöglicht nun ein Studium auf Englisch – mit kostenlosen Onlinekursen. Der Andrang ist riesig.

Quelle: Spiegel.de