Anwält*innen fordern von der Bundesregierung eine Menschenrechtspolitik, die die Betroffenen tatsächlich erreicht.
In Iran beobachten wir den Beginn einer Revolution. Einer feministischen Revolution. Angeführt von Frauen*, die für ihre Freiheit und eine neue Gesellschaft kämpfen. Für ihren Mut werden sie getötet, gefoltert und inhaftiert.
Der Mut dieser Frauen* beeindruckt uns. Er führt weltweit zum Ausdruck von Solidarität. Die gleichen Solidaritätsbekundungen hallen noch nach mit den Frauen*, die in Afghanistan seit über einem Jahr für ihre Rechte demonstrieren. Die gleichen Solidaritätsbekundungen verstummen mittlerweile mit den mutigen Frauen* in Belarus.
Aber was passiert, wenn genau diese mutigen Menschen internationalen Schutz benötigen? Erhalten sie Zugang zu dem Schutz, den die europäische und deutsche Rechtsordnung ihnen verspricht?
»Nein«, sagt Rechtsanwältin Berenice Böhlo aus dem Vorstand des RAV, »im Gegenteil: schutzbedürftige Menschen haben fast keine legalen Möglichkeiten, um überhaupt nach Deutschland oder Europa zu kommen, und zwar auch dann nicht, wenn sie nachweislich politisch verfolgt sind oder ihr Leben ernsthaft in Gefahr ist. So warten beispielsweise unsere afghanischen Mandantinnen, denen von Deutschland eine Aufnahme versprochen wurde, seit Monaten und Jahren in Pakistan oder Iran auf die Bearbeitung oder Erteilung ihrer Visa, damit sie in Deutschland das Asylrecht erhalten können. Ansonsten bleibt ihnen nur die lebensgefährliche Flucht über vollkommen unsichere Routen.«
Dennoch verkündet Innenministerin Nancy Faeser noch am 8. Oktober 2022, dass gerade diesen letzten Fluchtwegen, die sie als „unerlaubte Einreisen über das Mittelmeer und die Balkanroute“ bezeichnet, durch scharfe Kontrollen Einhalt geboten werden müsse. Das ist mehr als zynisch, sieht doch das europäische Asylsystem eine „erlaubte Einreise“ zur Schutzgewährung gar nicht vor. Humanitäre Visa werden nur in seltenen Einzelfällen erteilt. Für eine Erteilung von Visa setzt sich das Auswärtige Amt noch nicht einmal eine Bearbeitungsfrist. Schöne feministische Außenpolitik.
Die Solidarität mit mutigen Frauen* im Iran, in Afghanistan und andernorts endet an den europäischen Außengrenzen. Sie endet in der Bürokratie der deutschen Visumstellen.
»Ein Menschenrecht ohne Zugang zum Recht ist ein leeres Versprechen. Wir fordern echte Solidarität jenseits solidarischer Worte« sagt Rechtsanwältin Franziska Nedelmann, Vizevorsitzende des RAV.
Wir fordern von Bundes- und Landesregierungen, die über Jahrzehnte von männlichen Innen- und Außenministern verantwortete Politik zu beenden und folgende Sofortmaßnahmen zu beschließen:
► sofortige und effektive Aufnahmeprogramme auf Landes- und Bundesebene für Schutzsuchende aus Iran;
► die sofortige Aufstockung der personellen und sachlichen Ressourcen an den deutschen Botschaften, insbesondere in den Nachbarstaaten von Krisenländern;
► eine Weisung des Auswärtigen Amtes, dass jede deutsche Auslandsvertretung zur Annahme von Visumanträgen aus Krisenländern zuständig ist und diese unverzüglich zu bearbeiten sind;
► einen sofortigen und von der IMK und dem BMI zu beschließenden formellen Abschiebestopp für alle Krisenländer;
► die Erteilung von humanitären Visa für gefährdete Menschen in geregelten Verfahren anhand klarer Fristen;
► die Aussetzung der Dublin-Verfahren.
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Kontakt:
Rechtsanwältin Berenice Böhlo, +49(0)30 247 240 90, info@aufenthaltundsoziales.de
Rechtsanwältin Barbara Wessel, +49(0)30 62 20 17 48, wessel@anwaeltinnen-kreuzberg.de