Ein Bewerber mit türkischem Namen wird nicht zur Besichtigung eingeladen, sein deutscher Alias schon: Vermieter wegen Diskriminierung verurteilt.
Zum ersten Mal ist ein Berliner Vermieter wegen Diskriminierung eines Wohnungssuchenden verurteilt worden. Das Amtsgericht Charlottenburg hat in einem Urteil vom 14. Januar, das erst jetzt bekannt wurde, das Wohnungsunternehmen Deutsche Wohnen wegen Diskriminierung eines türkeistämmigen Bewerbers bei der Wohnungsvergabe zu einer Entschädigung in Höhe von 3.000 Euro verurteilt (AZ: 203 C 31/19). Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig; ob man in Berufung gehe, werde noch geprüft, sagte ein Unternehmenssprecher auf taz-Anfrage.
Der Kläger Mehmet Tasdemir, der seinen richtigen Namen aus Angst vor weiterer Benachteiligung nicht veröffentlicht sehen möchte, hat sich zwei Mal online bei der Deutschen Wohnen um Wohnungen beworben. Nachdem er unter seinem Namen eine Absage bekommen hat, schrieb er die gleiche Bewerbung erneut, dann jedoch als „Michael Grünberg“ – und wurde prompt zur Besichtigung eingeladen. Einmal sei er auch ins Vermietungsbüro des Unternehmens gegangen, um seine Bewerbung vor Ort abzugeben, erzählte er der taz. „Da hieß es sofort, die Wohnung sei schon weg.“ Daraufhin habe er einen Kollegen gebeten, dort anzurufen und sich als „Michael Grünberg“ auszugeben. „Dann hieß es, ja, die Wohnung sei noch frei.“
Diese Methode des „reaktiven Testings“ gilt unter Experten als gute Möglichkeit, Diskriminierung im Sinne des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) nachzuweisen. Laut dem Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung wurde sie bislang allerdings erst einmal vor Gericht als Beweisführung akzeptiert, das war 2017 in Hamburg.
Tasdemirs erfolgreiche Klage ist nun der zweite Fall. Für das Gericht war die unterschiedliche Behandlung der Herren „Grünberg“ und „Tasdemir“ bei ansonsten identischen Angaben ein „glaubhaftes Indiz“, wie es im Juristendeutsch heißt, für das Vorliegen einer Diskriminierung. Dagegen konnte die Deutsche Wohnen mit der Argumentation, die BewerberInnen seien nach dem Zufallsprinzip ausgewählt worden, die Richter nicht überzeugen.
Hoffnung auf abschreckende Wirkung
„Das ist ein gutes und richtungsweisendes Urteil und mehr, als wir erwartet haben“, sagt Remzi Uyguner von der Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt, die Tasdemir beraten und beim Prozess begleitet hat. Das Gericht habe dem Kläger 1.000 Euro mehr Entschädigung zugesprochen als die 2.000, die er gefordert hat – mit der Begründung, dass die Deutsche Wohnen die Mailadresse des Klägers nach dessen Beschwerde gesperrt und ihm so weitere Bewerbungen unmöglich gemacht habe.
Zudem wird im Urteil moniert, dass ein so großes Unternehmen keine Maßnahmen ergreift, um zu verhindern, dass Diskriminierung passiert – etwa durch Schulung der MitarbeiterInnen.“ Er hoffe nun, so Uyguner, dass das Urteil über den Einzelfall hinaus Wirkung zeitige, „indem es auf Vermieter abschreckend wirkt“. Tasdemir selbst nennt das Urteil ebenfalls „gut“, sagt aber zugleich: „Mehr kann man ja gar nicht beweisen. Wenn ich nicht gewonnen hätte, hätte ich an unserem Rechtssystem gezweifelt.“
Der gebürtige Berliner und Diplom-Wirtschaftsingenieur hat, wie er sagt, seit seiner Schulzeit immer wieder Probleme, die er nur mit Diskriminierung erklären kann. So habe er Praktika trotz eines Diplomschnitts von 1,4 nur auf informellen Wege bekommen. Auch habe er 102 Bewerbungen schreiben müssen, um seinen ersten Arbeitsvertrag zu bekommen. „Und das mit meinem gesuchten Studium. Das kann kein Zufall sein“, glaubt Tasdemir.
Als er nach sieben Jahren im Ausland 2017 in Berlin eine Wohnung gesucht habe, „ging der ganze Alltagsrassismus von vorne los. Darum habe ich diesen Test mit den zwei Namen gemacht.“ Das Urteil ermutige ihn nun, es weiter mit Deutschland zu versuchen. „Meine Frau und ich haben schon überlegt von hier wegzugehen.“ Das Paar hat inzwischen eine Eigentumswohnung gekauft.
Immer mehr Betroffene machen „Testings“
Wie verbreitet das Phänomen der Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt ist, lässt sich nur schwer beziffern. Seit Einrichtung der Fachstelle vor zweieinhalb Jahren habe es, so Uyguner, „über 275 Beratungsanfragen“ gegeben. In den meisten Fällen sei die Stelle aktiv geworden, indem sie eine „Diskriminierungsbeschwerde“ an den Vermieter geschrieben und um Stellungnahme gebeten habe. „Meistens lehnen die Vermieter die Beschwerde ab oder antworten gar nicht“, erklärt er.
In der Mehrheit der Fälle seien die Betroffenen aus ethnisch-religiösen Gründen diskriminiert, etwa weil die Frau Kopftuch trägt. Bisweilen gehe es aber auch um die Familiengröße, um Alleinerziehende oder den „sozialen Status“, also darum, dass ein Mensch benachteiligt wird, weil er Sozialleistungen bekommt. Letzteres Merkmal wird allerdings vom AGG nicht erfasst. „Wenn Menschen mit so einer Beschwerde źu uns kommen, müssen wir daher leider sagen, dass man rechtlich nichts machen kann“, sagt Uyguner. Den Beschwerdebrief an den Vermieter würden sie dennoch schreiben. „Die Menschen wollen oft, dass die Ungerechtigkeit wenigstens ausgesprochen wird.“
Um eine Diskriminierung vor Gericht glaubhaft machen zu können, greifen Betroffene laut Uyguners immer öfter zum Mittel des Testings. In zwei Fällen habe die Gegenseite daraufhin den Fehler eingestanden und doch an die Betreffenden vermietet. Auch die taz hatte im September von einem Mann berichtet, der auf diese Weise Indizien für seine Benachteiligung durch zwei städtische Wohnungsunternehmen sammeln konnte und diese verklagen wollte. Die Fachstelle hat eine „Arbeitshilfe zur Durchführung reaktiver Testings“ herausgegeben, die online abrufbar ist.