Irans Justiz verurteilt die Aktivistin Nahid Taghavi zu fast elf Jahren Gefängnis. Das Regime könnte die Deutsch-Iranerin als Faustpfand benutzen.
Im Iran ist die deutsch-iranische Aktivistin Nahid Taghavi zur Geisel der Islamischen Republik geworden: Die Justiz verurteilte die 66-jährige Kölnerin, die im berüchtigten Evin-Gefängnis von Teheran einsitzt und an Covid-19 erkrankt ist, wegen staatsfeindlicher Umtriebe zu fast elf Jahren Haft.
Das teilte Taghavis Tochter Mariam Claren mit. Der britisch-iranische Aktivist Mehran Raouf erhielt die gleiche Strafe wie Taghavi. Das iranische Regime will inhaftierte Doppelstaatler wie Taghavi und Raouf als Faustpfand benutzen, um den Westen zu politischen Zugeständnissen zu zwingen oder die Freilassung iranischer Agenten im Ausland zu erpressen. Diese Art der Geiselnahme hat sich für den Iran in der Vergangenheit mehrmals ausgezahlt.
Taghavi soll nach dem Urteil wegen Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation zehn Jahre in Haft bleiben. Weitere acht Monate Haft erhielt sie wegen des Vorwurfs der Propaganda gegen das iranische Regime. Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler, zeigte sich „schockiert“ über das Urteil. „Verfahren ohne plausible Grundlage, rechtsstaatliche Grundsätze missachtet, Haftbedingungen inakzeptabel“, schrieb Kofler auf Twitter.
Die Architektin Taghavi lebt seit 1983 in Köln und besitzt seit 2003 neben dem iranischen auch den deutschen Pass. Sie setzt sich für Menschen- und besonders für Frauenrechte im Iran ein. Während eines Besuches in Teheran wurde sie im vergangenen Oktober festgenommen. Im Juli berichtete Taghavis Tochter, ihre Mutter schwebe nach einer Covid-Infektion im Evin-Gefängnis in Lebensgefahr.
Mehr als ein Dutzend Bürger westlicher Staaten sitzen nach einer Zählung der Agentur AFP in iranischen Gefängnissen. Neben Taghavi sind drei weitere Deutsche betroffen. Einer ist der Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd, der 2020 in Dubai von iranischen Agenten gefasst und nach Teheran verschleppt wurde.
Mehrere Doppelstaatler sitzen in Haft
Auch amerikanische, britische und französische Doppelstaatler sitzen in Haft. Der am selben Tag wie Taghavi verurteilte britisch-iranische Aktivist Raouf setzt sich laut Amnesty International für Arbeiterrechte im Iran an.
Dem Regime geht es bei den Inhaftierungen nicht nur um den Kampf gegen angebliche Staatsfeinde. „Die auffällige Häufung von Fällen, in denen Doppelstaatsangehörige ohne konkrete Tatvorwürfe inhaftiert werden, deutet darauf hin, dass durch sie Druck auf die betreffenden Regierungen ausgeübt werden soll“, erklärte Dieter Karg, Iran-Experte bei Amnesty International in Deutschland.
Die UN-Menschenrechtskommission kritisierte bereits im Jahr 2017, im Iran zeige sich ein „Muster willkürlicher Festnahmen von Doppelstaatlern“. Auch die Bundesregierung betont in ihren Reisehinweisen zum Iran, Doppelstaatler riskierten in dem Land Verhöre, Passentzug, Ausreisesperren und Inhaftierungen. Der Iran betrachte Deutsch-Iraner als ausschließlich iranische Staatsbürger.
Politische Geiselnahmen haben in der Islamischen Republik Tradition. Nach der Revolution 1979 überrannten Anhänger von Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Khomeini die US-Botschaft in Teheran und setzten mehr als 50 Botschaftsmitarbeiter fest.
Die Geiseln kamen im Januar 1981 frei, nachdem die USA das Ende von Handelssanktionen zugesagt hatten. Im letzten Herbst wurde die britisch-australische Akademikerin Kylie Moore-Gilbert nach zwei Jahren Haft im Austausch gegen drei iranische Agenten nach Hause zurückkehren.