Afghanische Flüchtlinge: Zu Fuß über die Grenze

Zu Fuß über die Grenze

Viele afghanische Flüchtlinge kommen über den Iran nach Europa. Doch für einen Teil von ihnen endet die Flucht bereits an der iranischen Grenze. Sie werden erschossen oder zu­rück­ge­schickt. Betroffen sind vor allem Frauen und Kinder. mehr »

Sie zahlen horrende Summen an die Schlepper. Oft sind die Flucht­fahr­zeu­ge überladen: Autos, die für fünf Personen zugelassen sind, trans­por­tie­ren bis zu 17 Personen. Auch technisch lassen die Fluchtwagen vieles zu wünschen übrig. Zum schlechten Zustand der Straßen kommen Räuberbanden. Im März hielten Maskierte einen Bus an und beraubten 30 afghanische Flüchtlinge auf dem Weg in den Iran um ihr Hab und Gut.
Gefahr lauert auf die afghanischen Asyl­su­chen­den auch direkt an der Grenze. Sie werden von ge­walt­tä­ti­gen Grenz­sol­da­ten misshandelt. Manchmal fallen sogar Schüsse. Afghanische Medien berichten immer wieder von Toten und Verletzten an der af­gha­nisch-ira­ni­schen Grenze. Die iranische Regierung dementiert dies.
Das betrifft diejenigen, die es bis zur Grenze schaffen. Doch viele kommen gar nicht so weit. Allein in den letzten zwei Tagen des März sollen nach einem Bericht der iranischen Zeitung Shahrvand 61 afghanische Flüchtlinge unterwegs durch Autounfälle ums Leben gekommen sein. 62 kamen mit Verletzungen davon.

Kinder und Jugendliche unter den Flüchtlingen

Der 16-jährige Javad kam vor zwei Monaten über den Iran nach Europa. Neun Monate hat er im Iran verbracht. An den schreck­li­chen Fluchtweg erinnert sich der Afghane gut: „Mit meinen beiden Cousins hatten wir die Flucht unternommen. Ich saß im Wagen auf dem Boden, ein­ge­quetscht zwischen 14 weiteren Flüchtlingen, darunter Frauen und Kleinkinder. Das Atmen fiel uns schwer, aus Platzmangel. Nach ein paar Stunden stiegen wir aus und gingen zu Fuß weiter. Nach etwa 20 Tagen Fußmarsch erreichten wir den Iran, mit Wunden an den Füßen und ausgehungert. Unterwegs schlugen die Schlepper uns, damit wir schneller liefen, Frauen und Kinder ließen sie zurück, denn sie konnten nicht mit uns Schritt halten. Einer meiner Cousins erkrankte und starb später. Pro Kopf haben wir 100 US Dollar bezahlt. Das war für uns eine Menge.“

Ar­beits­lo­sig­keit und soziale Unsicherheit in Afghanistan vertreiben die Jugend in Richtung Iran und Pakistan. Afghanistan gehört zu den ärmsten Ländern der Welt: Viele Kinder leiden an Un­ter­ernäh­rung und leben in Slums. Laut UNICEF gehen 6,5 Millionen afghanische Kinder nicht zur Schule. Sie müssen sich mit um die Ernährung der Familie kümmern, auf den Straßen betteln oder auf Müllhalden nach Essbarem suchen.

Die unabhängige afghanische Men­schen­rechts­kom­mis­si­on hat im März eine neue Studie über afghanische Flüchtlinge vorgelegt. Danach wurden vom März 2013 bis September 2014 etwa 8.000 min­der­jäh­ri­ge Afghanen aus dem Iran nach Afghanistan abgeschoben. Die meisten von ihnen hatten keine Auf­ent­halts­er­laub­nis bekommen. Andere kehrten wegen ihres miserablen Le­bens­stan­dards im Iran freiwillig zurück. Trotzdem soll die Zahl min­der­jäh­ri­ger afghanischer Flüchtlinge im Iran im Vergleich zum Vorjahr um 10 Prozent gestiegen sein, so die Studie. Der Im­mi­gra­ti­ons­be­hör­de des iranischen In­nen­mi­nis­te­ri­ums zufolge leben 2,4 bis drei Millionen Afghanen im Iran. 1,4 bis zwei Millionen hätten eine Auf­ent­halts­er­laub­nis, der Rest sei illegal im Land.

Das gelobte Land

Europa bleibt das Hauptziel vieler afghanischer Kinder, die in den Iran flüchten. 2013 beantragten laut Angaben der Vereinten Nationen (UN) 4.000 Afghanen zwischen 13 und 17 Jahren in einem europäischen Land Asyl. Afghanische Kinder, die in den Iran flüchten, sind laut iranischen Behörden im gleichen Alter.

Das Geld zum Weiterkommen müssen sie erst verdienen. Daher sind sie vielen Gefahren ausgeliefert“, sagt die So­zi­al­ar­bei­te­rin Zahra Akbari (Name von der Redaktion geändert) im Gespräch mit Iran Journal. „Men­schen­rechts­ak­ti­vis­tIn­nen klären über die Probleme der min­der­jäh­ri­gen Flüchtlinge auf und warnen Familien davor, ihre Kinder Schleppern an­zu­ver­trau­en“, so Akbari, die afghanische Flüchtlinge im Iran betreut. Oft würden die Kinder von einem Men­schen­schlep­per an andere wei­ter­ver­mit­telt. Manche würden sexuell missbraucht, andere wochenlang gefangen gehalten, bis die Familie die gesamten Fluchtkosten bezahlt: „Viele Kinder sind trau­ma­ti­siert, werden aber im Iran nicht adäquat behandelt. Ihnen steht keine kostenfreie medizinische und psy­cho­lo­gi­sche Behandlung zu.“ Sie habe Jugendliche betreut, „die nachts im Schlaf geschrien haben und monatelang Angst hatten, das Haus zu verlassen“, so die So­zi­al­ar­bei­te­rin.
Auch Studien des „Afghanistan Research and Evolution Unit“ (AREU) deuten auf eine Zunahme der Flucht von Kindern aus Afghanistan. Die Studie weist auf sexuelle Misshandlung, Ausbeutung und andere Dis­kri­mi­nie­run­gen dieser Kinder hin. Das Institut verlangt von der Regierung, Familien und ihre Kinder zu schützen und sie ausreichend über die Gefahren der Flucht zu informieren.

Ich würde lieber sterben als noch einmal die Flucht in den Iran zu wagen“, sagt Zahra im Gespräch mit Iran Journal. Mit ihren zwei Kindern war die Afghanin eine Woche lang über die grüne Grenze in den Iran unterwegs. Ihr Ehemann war bereits einige Monate davor geflüchtet. Viermal hätten sie umsteigen müssen, erinnert sich die zierliche Frau: „Ich weiß nicht mehr, zu wie vielen wir im Auto saßen. Ich hatte Mühe, meine Kinder zu beruhigen, die ständig weinten. Wir hatten nichts zu essen und konnten nirgends anhalten. Stundenlang konnten wir nicht einmal zur Toilette, die Kinder saßen in nassen Hosen da. Auf der Flucht habe ich mir mehrmals den Tod gewünscht.“

  NAHID FALLAHI

Übersetzt aus dem Persischen und überarbeitet von Said Shabahang

 

Quelle: Iran Journal