Hamid Nowzari floh selbst vor der Islamischen Revolution in Iran. Sein Verein hilft muslimischen Flüchtlingen und arbeitet gegen Vorurteile aller Art.
taz: Herr Nowzari, Ihr Verein ist eine der ältesten iranischen Exilorganisationen in Deutschland. Wer waren vor 30 Jahren die GründerInnen?
Hamid Nowzari: Wir waren Menschen, die in den Jahren nach der Revolution im Iran 1979 vor dem islamischen Mullah-Regime flüchteten. Aber auch IranerInnen, die bereits früher vor dem Schah-Regime nach Deutschland geflohen waren. 1986 haben wir uns dann als Verein konstituiert.
Also GegnerInnen des Schahregimes und der islamischen Herrschaft?
Genau. Wir hatten nach der Revolution und dem Sturz des Schahs ja zunächst gedacht, die politischen Verhältnisse im Iran würden sich verbessern. Aber wir haben uns leider getäuscht – in allen Punkten.
Inwiefern?
Mit der Machtübernahme der schiitischen Islamisten nach der Revolution haben die Menschen im Iran nicht nur ihre politische, sondern auch ihre soziale und persönliche Freiheit verloren. Die Debatte darüber, wie es dazu kommen konnte, hat neben der Beratung und Betreuung für Geflüchtete auch unsere ersten Jahre im Exil geprägt. Viele von uns hatten die Revolution als Erhebung gegen das Schah-Regime ja unterstützt. Wir haben uns gefragt, was wir falsch gemacht hatten.
Und zu welchen Ergebnissen sind sie damals gekommen?
Wir hatten vielleicht zu wenig erkannt, wie wichtig es ist, persönliche Freiheiten, Bürgerrechte, Frauenrechte, Rechte von Minderheiten zu schützen. Der Kampf gegen die Diktatur des Schah-Regimes hatte diese Werte an den Rand rücken lassen.
Hatte diese Einsicht Konsequenzen?
Ich würde sagen, dass sie sich ausgewirkt hat auf unsere politischen Vorstellungen und das, was wir heute tun und wie wir heute arbeiten.
Inwiefern?
Wir sind heute konfrontiert mit einer gesellschaftlichen Situation in Deutschland, in der wieder viele muslimische Flüchtlinge kommen und gleichzeitig eine rechte und antiislamische Bewegung erstarkt. Wir sind selbst vor islamistischer Unterdrückung geflüchtet. In unserer Arbeit mit Geflüchteten hier sehen wir uns in der Situation, muslimische Geflüchtete gegen rassistische und antiislamische Anfeindungen schützen zu müssen. Gleichzeitig verteidigen wir die Rechte von Frauen, Homosexuellen, Andersgläubigen gegen Ressentiments mancher muslimischer Geflüchteter. Da geht es um individuelle persönliche Freiheiten und BürgerInnenrechte, die hier glücklicherweise jedem zustehen – und für die wir kämpfen.
Ihr Verein berät Flüchtlinge aus dem Iran. Und seit sechs Jahren – im Auftrag des Berliner Senats – auch Geflüchtete aus Afghanistan. Wie beurteilen Sie die Bemühungen Deutschlands, Afghanistan zu einem sicheren Herkunftsland zu erklären?
Aus unserer Sicht wäre das eine fatale Entscheidung. Afghanistan ist nicht sicher. Dass ihre Asylverfahren deswegen hinausgezögert werden und dass ihnen ständig Abschiebung droht, versetzt die afghanischen Geflüchteten hier in einen lähmenden Zustand der Dauerangst.
Viele afghanische Geflüchtete kommen auch aus dem Iran …
… wo ihnen als Flüchtlinge alle Bürgerrechte verweigert werden. Das ist für die erste Generation der in den Iran geflüchteten Afghanen oft noch hinnehmbar: Sie finden irgendeine illegale Arbeit, mit der sie die Familie über Wasser halten können. Aber wenn sie sehen, dass ihren Kindern dort Papiere und damit Bildung und eine bessere Zukunft verwehrt werden, schicken sie diese weiter auf die Flucht nach Europa. In diesem Jahr haben bereits mehr als 100.000 AfghanInnen Asylanträge gestellt in Deutschland, das sind sechsmal so viele wie 2015.
Worin besteht Ihre tägliche Arbeit mit den Geflüchteten?
Wir helfen beim Verstehen der Papiere, beraten im Asylverfahren und bei anderen Sachen. Wir machen auch Gruppenberatungen, bei denen die Geflüchteten Kontakte miteinander knüpfen können, und Besuche in Flüchtlingsunterkünften, um uns über die Lebenssituation der Geflüchteten auf dem Laufenden zu halten.
Gelingt es den Menschen, sich hier ein neues Leben aufzubauen?
Das fällt den iranischen Flüchtlingen meist leichter als denen aus Afghanistan. Die meisten haben bessere Ausbildungen, sprechen Englisch und finden hier ein besseres Netzwerk vor. Bei den Afghanen dauert das oft etwas länger, weil ihr Bildungsstand meistens etwas schlechter ist. Aber viele finden einfache Jobs, und die Jüngeren machen Ausbildungen.
Sie sind 1980 aus dem Iran geflüchtet. Haben Sie seinerzeit mit einer so langen Exilzeit gerechnet?
Dass ich mehr als drei Jahrzehnte hier leben würde, damit habe ich nie gerechnet. Wir dachten damals, wir können nach spätestens zehn Jahren zurück. Als ich hier herkam, habe ich jemanden getroffen, der bereits 27 Jahre lang als Flüchtling vor dem Schah hier lebte. Damals habe ich gedacht: „Wie kann man so lange im Exil leben?“ Nun bin ich fast 37 Jahre hier. Und ich erlebe, dass die Flüchtlinge, die heute aus dem Iran herkommen, auch denken, sie können in einigen Jahren zurück. Das betrifft aber meiner Erfahrung nach Geflüchtete aus allen Ländern: Sie denken anfangs, sie könnten in wenigen Jahren zurück – bis die Wirklichkeit sie einholt.
Halten Sie eine Veränderung der politischen Verhältnisse im Iran zum Besseren derzeit für möglich?
Der Iran hat sich in einiger Hinsicht geändert, aber nicht in politischer Hinsicht zum Besseren. Wer sich anpasst, unpolitisch bleibt und sich mit dem so genannten Reformflügel in der Politik zufrieden gibt, kann dort in relativer Ruhe leben. Kritiker werden aber nach wie vor verfolgt und zum Schweigen gebracht.
Sie waren seit Ihrer Flucht nie wieder im Iran. Warum?
Unabhängig davon, ob eine Reise dorthin für mich gefährlich wäre oder nicht: Ich möchte nicht in ein Land zurückkehren, in dem Verhältnisse herrschen, wie sie derzeit im Iran bestehen. Und solange sich das nicht ändert, möchte ich nicht in den Iran zurück.
Verein iranischer Flüchtlinge
Der Verein ist eine Beratungsstelle für in Berlin lebende Iraner und Afghanen. Er berät im Asylverfahren, hilft Geflüchteten dabei, sich zu vernetzen, und besucht Heime.
Am heutigen Mittwoch feiert der Verein seinen 30. Geburtstag ab 18.30 Uhr in der Werkstatt der Kulturen in Neukölln. Das Programm besteht aus einem Film über die Arbeit des Vereins, Musik, Ansprachen unter anderem der Senatorin für Integration, Dilek Kolat (SPD), und einem Imbiss. (taz)